Zeitrahmen: nach „Tick, Tick, Tick“ & „Boom!“ (2×17+2×18)
Blitz. Donner. Heftiger Regen ergoss sich über New York. Wie sagte man in einem kleinen europäischen Land so gerne: Und wenn es einmal regnet, dann regnet es sich ein. Das Wetter wäre auch unbedeutend gewesen, hätte es nicht um die Null Grad, würde kein Sturm toben und hätte es nicht gerade eine Meldung im Fernsehen und Radio gegeben, dass man doch bitte das Haus nicht verlassen sollte, da es lebensgefährlich wäre unterwegs zu sein. Continue reading
Während sie durch die Steppe ritten, stelle Alexis Kate 100 Fragen über den Ort, die Anrainer und die Jahreszeiten und es stellte sich heraus, dass Ricks Annahme gar nicht so falsch gewesen war. Allerdings passte Castle nicht recht auf, zu sehr studierte er ihre Haltung, den mittlerweile über den Sattel geworfenen Mantel, die Art und Weise, wie sich ihre Hüften im Sattel bewegten.
Am Hof angekommen fand eine kurze private Unterhaltung zwischen Kate und Em statt, bis die junge dunkelhaarige Frau zu Martha kam und sie bat mitzukommen. Sie würde die ehemalige Sklavin untersuchen, in ihrem eigenen Haus, und bat um Marthas Anwesenheit. Anfänglich war die ehemalige Schauspielerin etwas unsicher, sagte aber nichts und ging langsam neben den beiden jungen Frauen her. Ems Hütte war etwas abseits, doch war sie die sauberste, die sie in Cort Springs bisher gesehen hatten.
Anfänglich stellte Kate ein paar Fragen, die der jungen dunkelhäutigen Frau teilweise etwas peinlich waren, doch taute sie allmählich auf, vertraute Kate mehr und mehr. Sie wollte wissen, wann sie in etwa ihre letzte Mensis hatte und welche Veränderungen ihr während der Schwangerschaft aufgefallen waren. Manche Punkte konnten genauer beantwortet werden als andere, so konnte die werdende Mutter nicht schreiben, daher gab es natürlich keine entsprechende Buchführung über diverse Ereignisse des täglichen Lebens. Sachen wurden mit anderen Ereignissen verbunden, der Geburt eines Kalbes, starken Gewittern, Angriffen durch die Indianer.
Kate horchte mit einer Art Hörrohr Ems Bauch ab, ihre Brust. Schließlich erklärte sie ihr den Beginn des Geburtsvorgangs, wie Wehen sich anfühlen würden und dass das Fruchtwasser abgehen würde. Es war von Vorteil, dass die junge Frau schon bei zahlreichen Geburten von Tieren dabei war, um die Basics zu kennen.
„Mrs. Castle …“, sagte Em schlussendlich besorgt und sah die ihr quasi Fremde fragend an.
„Wir bekommen das schon hin, Kleines. Mach dir keine Sorgen. Frauen bekommen Kinder seit der Entstehung der Erde.“
„Sie müssen mich nur am Anfang rufen“, erklärte Kate, „dann kann ich rechtzeitig schaffen. Manchmal kann eine Geburt Tage dauern, manchmal sind die Babys bereits nach wenigen Stunden auf der Welt.“ Sie strich Em über die Schulter. „Du musst viel rasten, darfst nichts Schweres heben und solltest die Füße hochlegen, wenn immer es dir möglich ist. Du hast noch etwa 3-4 Wochen, würde ich sagen und wir wollen ja nicht, dass es früher kommt.“
Das Schwarze nickte zustimmend. „Wir werden dafür sorgen, dass sie mehr Pausen hat.“
Gemeinsam standen die beiden weißen Frauen auf und verabschiedeten sich für den Moment von Em, die scheinbar müde auf einer Bank in ihrem Haus saß.
„Wie viele Kinder, Kate?“
„An die 20 im Laufe der Jahre.“
„Alles Mädchen aus dem Saloon?“
„Nein Mrs. Castle. Die meisten waren von ehemaligen Slavinnen oder Frauen, die von einem Arzt nicht behandelt wurden – unverheiratete, ungläubige, eingeborene. Bei meinen Mädchen schaue ich darauf, dass es erst gar nicht so weit kommt. Also im Normalfall. Aber natürlich, manch ein Kind war auch von einem meiner Mädchen.“
Martha wusste genau, was sie damit meinte, dies verhindern zu wollen. Auf den Bühnenbrettern der Ostküste hatte man dies auch stets versucht, denn welches Engagement bekam eine junge Schauspielerin mit einem wachsenden Bauch?
„Haben Sie Kinder?“
Em lachte hinter ihnen auf, daher drehten sich die Frauen um. „Kate hat ihrem Verlobten angeschossen, sie hat ihm in den Allerwertesten geschossen, weil er eine Woche vor der Hochzeit mit einem der Mädchen im Saloon mehr als nur …“
„Und ich habe bereits gehört, dass sie eine vorzügliche Schützin sind.“
„Oh, eine von Blakes Geschichten“, stimmte Kate und verdrehte ihre Augen.
„Sie ist die Beste“, setzte Em fort. „Wir kommen ja nur selten in die Stadt und niemals in den Saloon, Schwarze dürfen die Geschäfte nicht betreten oder nur durch den Hintereingang – laut Bürgermeister. Aber wir hören vieles – sie hat schon manch ein Duell gewonnen, Räuber an- oder erschossen und wenn sie jemandem droht, wissen alle meilenweit, dass sie es ernst meint.“
Die Sonne stand hoch am Himmel und Martha stellte fest, dass diese Lobhudelei Kate unangenehm war. Em ging an ihnen vorbei und in die Küche des Herrenhauses, Kate führte hingegen Martha in einen Bereich hinter dem Haus. Es waren die Reste eines Gartens zu sehen.
„Das Kind liegt bereits in der richtigen Position, Mrs. Castle, es könnte jederzeit so weit sein.“
„Nenn mich doch Martha, quasi jeder nennt mich Martha.“
„Kate“, sagte die in Hosen gekleidete Frau mit einem Lächeln auf den Lippen.
„Ist es eine Abkürzung?“
„Ja, für Katherine, nach meiner Großmutter.“
„Leben deine Eltern auch hier in der Gegend?“
Kate schüttelte den Kopf. „Meine Mutter ist seit vielen Jahren tot, es war ein Raubmord, als ich noch ein Kind war. Mein Dad, der Jurist, hat sich dann der Flasche zugeneigt und wollte mich an den Sohn eines Kollegen verheiraten. Kaum war ich volljährig, habe ich mir das kleine Erbe meiner Mutter auszahlen lassen, habe meine Sachen gepackt und bin aus Boston weg.“
„Vermisst du denn die Großstadt nicht?“
„Nein. Vielleicht am Anfang. Es war nicht immer einfach. Wenn mein Vater wüsste, wie ich mein Geld verdiene, würde er so und so kein Wort mehr mit mir sprechen. Er würde mich verachten.“
„Wieso glaubst du das?“
„Du kennst ihn nicht. Er ist eine andere Type Mann als dein Sohn. Mein Vater beurteilt dich in den ersten 10 Sekunden und dann ist es unmöglich seine Meinung zu ändern. Ist er davon überzeugt, dass man unschuldig ist, beharrt er auf diesem Urteil. Ist er anderer Ansicht, gibt er den Fall ab bzw. übernimmt den Klienten nicht. Das machte ihm früher zu einem guten Anwalt, bevor er zu trinken begonnen hat.“
„Warst du auch einmal eines der Mädchen?“
„Oh nein … ich habe den Saloon geerbt von einer lieben Freundin, sie hat ihn mir auf ihrem Sterbebett hinterlassen. Tanzen ab und an ja, mehr nicht.“
„Und der Verlobte?“
„Der ist über die Berge. Fand den Schrot in seinem Hintern nicht so toll wie einen Ehering, obwohl er dieses Andenken wohl länger mit sich trägt als ein Goldband.“
Beide lachten.
„Townsend hatte hier einen Gemüsegarten. Ich war einige Male hier, als er noch mehr Sklaven hatte und diese Frauen medizinische Versorgung brauchten. Er hatte Kürbisse und all diese Sachen hier. Wenn man nämlich etwas weiter geht in diese Richtung, ist ein Brunnen, der gutes Wasser hat. Er hat die Pflanzen täglich bewässert und sie waren sein ganzer Stolz.“
„Was weißt du noch über ihn?“
„Nicht viel. Er hätte einmal beinahe geheiratet, habe ich gehört, aber sie starb an einer Lungenentzündung. Das war aber vor meiner Zeit hier. Er war gut zu den Sklaven und hatte, sobald der Präsident die Gesetze geändert hat, allen Sklaven diskussionslos die Freiheit geschenkt. Allen hat er angeboten zu bleiben und eine Bezahlung natürlich. Anfänglich waren noch einige da, nach seinem Tod sind alle weggegangen bis auf Theo, Em und Sal.“
Kurze Zeit herrschte eine Stille, die nur durch die Geräusche der Natur unterbrochen wurden.
„Mutter?“, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihnen.
„Richard?“ Sie drehten sich zu ihm um. Seine Hosen waren schmutzig, das Hemd hatte er ausgezogen. „Kate hat mir gerade den ehemaligen Garten gezeigt.“ Martha deutete auf die Überreste eines Zauns. „Mit etwas Arbeit kann man hier wieder Gemüse anpflanzen.“
„Geht es Em denn gut?“, fragte Rick. Er kannte sich mit schwangeren Frauen nicht besonders gut aus, aber sie schien sehr jung zu sein und viel am Hof zu arbeiten.
„Den Umständen entsprechend geht es ihr gut, Mr. Castle. Sie braucht Ruhe und sollte genügend rasten. Ich habe die Hoffnung, dass ihre Mutter und ihre Tochter sie etwas entlasten können, bis das Baby da ist.“
Richard nickte zustimmend. „Alexis ist bereits dabei mit Em einen Eintopf für den Mittagstisch zu kochen.“
Martha blickte an sich selbst hinab. Sie trug ein einfach geschnittenes dunkelbraunes Reisekleid mit kompliziert aufgesetzten Knöpfen, einer geschwungenen Bordüre an den Armen. Darunter trug sie eine weiße Bluse, deren Rüschen man am oberen Rand der Jacke sieht. Unter der Bluse trug sie eine einfach weiße Korsage, die sie selbst vorne schnüren konnte und einige Unterröcke – so war sie es gewohnt. Doch hier schwitzte sie und erkannte, dass Kates Outfit wohl den Gegebenheiten angepasster war. Trotzdem würde man sie nicht in Hosen sehen. Niemals. Und ihre Unterröcke würde sie auch nicht aufgeben, doch hier am Land könnte man den Stoff sicherlich anpassen. Und wer würde sich um all ihre Wäsche kümmern?
Ihr Leben in New York war nicht immer einfach gewesen aber komfortabel. Jetzt würde sich einiges ändern und ihr würde die Veränderung am schwersten fallen, dies hatte Martha bereits erkannt.
„Also Mutter, du könntest ihr ja helfen …“
Kurz musterte die rothaarige Frau ihren Sohn und verschwand schließlich im Haus, auf dem Weg dorthin knöpfte sie ihre Jacke auf und warf sie über einen Stuhl.
„Wie viel schulde ich ihnen für Ems Untersuchung?“ Ricks Stimme war bestimmt, doch hörte Kate ihm nur beschränkt zu, zu sehr wanderten ihre Augen über seinen entblößten Oberkörper, die definierten Bauchmuskeln. „Kate?“
„Oh … Entschuldigung. Ich verlange kein Geld.“
„Und welche Form der Entschädigung darf ich anbieten?“
„Ich nehme gerne einen Teller Eintopf zum Mittagessen und vielleicht haben sie ja das eine oder andere Buch mitgebracht in ihren vielen Koffern, das ich mir in Folge ausborgen könnte.“
„Sie lesen?“
„Natürlich. Nur weil ich einen Salon habe, heißt es nicht, dass ich ungebildet bin.“
„Das habe ich niemals behauptet.“
„Natürlich nicht“, sagte Kate und blickte verlegen auf den staubigen Boden.
„Ich habe sie noch nicht ausgepackt, aber sie können sich alles ausborgen. Jedes einzelne. Ohne Ausnahmen. Gibt es denn hier die Möglichkeit Bücher zu erwerben?“
„Sie können sie über Blake beziehen, aber es dauert Ewigkeiten. Die meisten kommen aus Denver oder von der Ostküste selbst.“
„Hm… dann muss ich wohl meinem Verleger telegraphieren, dass er mir regelmäßige Updates schickt. Der Großteil unserer Sammlung sind natürlich Kriminalromane, Alexis und Mutter bevorzugen Shakespare und andere Klassiker, aber ebenso diese romantischen Novellen, frauenzentrierte Romane.“
„Wunderbar.“
„Sie lesen gerne?“
„Immer schon. Alles was mir in die Finger kommt.“
Gemeinsam gingen sie schließlich ins Haus hinein. Damit hatte Rick nicht gerechnet, dass die Dame, die den Saloon führt, eine begeisterte Leserin sein würde und sie somit eine neue Ebene erreicht hatten, eine neue Ebene, die sie verband – mehr als viele andere Männer in diesem Ort behaupten konnten.
„Kate, Mädchen, kannst du mir einen guten Schneider im Ort nennen? Ich brauche unbedingt ein paar praktischere Outfits“, fragte Martha und stellte einen zusätzlichen Teller und ein Glas auf den Tisch, das sie mit Milch füllte.
„Die nächste Schneiderin ist meilenweit entfernt. Hier nähen die Frauen selbst. Ich habe zwei Mädchen, die sehr begabt sind. Wenn sie wollen, können sie mit diesen besprechen, was sie wollen. Vielleicht kann man ja ein paar Sachen umarbeiten.“
„Großmutter, du könntest Hosen tragen …“
Der ganze Tisch lachte laut, Martha wurde rot und blickte auf ihr Essen. Alexis Idee war gewagt, niemals würde Martha sich auf so etwas einlassen, das war allen bewusst. Sogar Kerstin, die die ältere Frau eigentlich kaum kannte, wusste sofort, dass die Enkeltochter dies nur gesagt hatte, um ihre Großmutter etwas aufzuziehen. Kate kannte die Gesellschaft der Ostküste, wusste wie nobel man lebte, von welchen Idealen man ausging – auch wenn sie mittlerweile mehr als 10 Jahre im wilden Westen lebte.
+C+C+C+
Ende Kapitel 4
+C+C+C+
2. Kapitel 2 – Die Neuen
3. Kapitel 3 – neue Bande
4. Kapitel 4 – gemeinsame Wege
5. Kapitel 5 – alte Geheimnisse